Social Media: Angst und Wut zum Quadrat?

Die Emotionen gehen hoch beim Thema „Flucht und Asyl“. Social Media verstärken emotionale Diskussionen.  Der Schein der Virtualität kehrt menschliche Schattenseiten nach außen. Dabei vergessen wir, dass Facebook längst zu unserer Realität gehört. Im Guten wie im Schlechten.

Als ich 2006 meine Diplomarbeit zum Thema „Beziehungsmedium Internet“ verfasste, und dabei die Chancen kirchlicher Inkulturation in neuen Lebensräumen analysierte, ahnte ich noch nichts von Facebook und Twitter. StudiVZ und Chatrooms waren Grundlage meiner Analysen – und dennoch: Viel von dem, was damals noch Theorie war, ist heute bestätigt: Social Media lassen sich aus unserem täglichen Leben kaum mehr ausblenden. Freilich kann man darauf verzichten, sie sind keinesfalls lebens-notwendig. Nutzt man sie aber, sind sie sofort Erweiterung des eigenen Lebensraumes. Wir interagieren auf Facebook mit Menschen, auch wenn wir es nur vom Bildschirm aus tun. Zudem kreieren wir ein „öffentliches Bild“ von uns. Wir erzählen unsere Geschichte.

Ich schätze die Möglichkeiten, die Social Media mir bieten. Mit Freunden in Kontakt zu sein, die ich sonst nur selten sehe. Stellung zu beziehen, und das auch öffentlich, wo ich das tun möchte. Interessante Inhalte mit anderen teilen können. Auf Facebook schreibe ich oft einfach drauf los – ein Posting kommt viel weniger reflektiert daher als ein Blogbeitrag wie dieser.

In letzter Zeit macht mir Facebook aber auch Angst. Emotionen wie Angst, Wut, aber auch Freude werden durch Facebook und Twitter, so wie ich sie erlebe, oft über die Maßen verstärkt. Das ist besonders schlimm, wenn sich die Emotion gegen Menschen richtet. Menschen, die ich oft nur flüchtig gekannt habe, und andere, die ich besser kenne, hinterließen in meiner Timeline in Bezug auf die Themen „Flucht“ und „Asyl“ plötzlich abschätzige, ja menschenverachtende Kommentare. Sie offenbarten ihre dunkelsten Seiten, um in der Facebook-Öffentlichkeit ihrer Wut und ihrer Angst freien Lauf zu lassen. Dabei benutzen sie ungeniert ihren Klarnamen.

Ich halte es für dringend notwendig, den „Lebensraum“ Social Media verstärkt als unsere Realität wahrzunehmen und die geltenden Gesetze auch dort anzuwenden. Hetzerische, beleidigende, menschenverachtende Kommentare, ja Drohungen und dergleichen mehr müssen noch viel mehr in den Fokus strafrechtlicher Verfolgung kommen. Eine Gesellschaft darf nicht akzeptieren, was hier derzeit vor sich geht, und muss – auch durch klare Sanktionen – unbedingt Konsequenzen ziehen.

Facebook ist ein Service eines privaten Unternehmens, dass aus der Datenquelle hohen Profit zieht. Doch bei einer Nutzerzahl von über einer Milliarde Menschen haben auch die Betreiber der Seite die Verantwortung, Grenzen zu ziehen, wo Menschenrechte verbal mit Füßen getreten werden.

Letztlich ist es aber auch eine Chance für uns, in unserem erweiterten Lebensraum für die Werte unserer Gesellschaft einzustehen. Wir sind zur verbalen Zivilcourage angehalten. Wir müssen klar formulieren, dass wir bestimmtes Verhalten nicht dulden. Denn genauso, wie Hass, Wut, Zorn und Angst durch die „neuen Medien“ verstärkt werden können, haben auch Mitgefühl, Mut, Liebe, Barmherzigkeit und Freude das Potenzial, diese Verstärkung zu erfahren.

Egal wie und wo ich mit anderen Menschen kommuniziere – dafür braucht es Respekt. Für den Respekt unter Menschen einzutreten, ist on- wie offline eine immer wieder fordernde, wie lohnende Aufgabe.

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